Veranstaltung: | JEF Bundeskongress 2024 |
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Antragsteller*in: | JEF NRW (dort beschlossen am: 04.09.2024) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 04.09.2024, 22:13 |
IA11: Schengen unter Druck: Gegen die Instrumentalisierung offener Grenzen
Antragstext
Im Juni 2025 feiert die Unterzeichnung des Schengener Grenzkodexes (Kodex)
bereits ihr 40-jähriges Jubiläum. Nach der Unterzeichnung dauerte es jedoch noch
zehn Jahre, bis die Grenzkontrollen in den ersten Ländern tatsächlich ausgesetzt
wurden.
Von Beginn an stand im Zentrum des Kodexes der fundamentale Grundsatz, dass die
Freizügigkeit innerhalb der EU ein grundlegendes Prinzip darstellt, das nur in
Ausnahmefällen eingeschränkt werden darf. Grenzkontrollen an den EU-
Binnengrenzen sollten demnach lediglich als letztes Mittel in besonderen
Situationen eingesetzt werden.
Spätestens seit der sogenannten “Flüchtlingskrise” von 2015 ist dieser
Grundpfeiler jedoch durch das Vorgehen der Mitgliedstaaten nicht mehr
wiederzuerkennen: Unter Verweis auf immer neue Bedrohungslagen werden
Grenzkontrollen regelmäßig wieder eingeführt und verlängert. Auch wenn es im
Einzelfall durchaus legitime Gründe geben mag, so drängt sich doch in vielen
Fällen der Eindruck auf, dass gezielt nach Vorwänden gesucht wurde und wird, um
Grenzkontrollen zu rechtfertigen. Auch die im Zuge der COVID-19-Pandemie
umfassend erfolgten Schließungen der Binnengrenzen führten zu einer weiteren
Relativierung des Grundsatzes der offenen Grenzen und Freizügigkeit. Unter
anderem aufgrund dieser neuen Herausforderungen wurde im Mai 2024 der Schengener
Grenzkodex aktualisiert.
Wir beobachten, dass die Aktualisierung des Kodex aus dem Jahr 2024 nichts daran
ändert, dass es häufig an einer klaren Relation zwischen Anlass und Umfang der
Kontrollen sowie an einer fundierten Begründung des Bedarfs mangelt.
Diese Praxis steht im klaren Widerspruch zu den Bestimmungen des Kodexes, der
Grenzkontrollen nur „unter außergewöhnlichen Umständen“ als „letztes Mittel“ und
nur in dem Maße erlaubt, wie es „zur Bewältigung der ernsthaften Bedrohung
unbedingt erforderlich ist“ (Art. 25 Abs. 1 und 2). Diese Vorgaben werden durch
die Mitgliedstaaten systematisch missachtet.
Doch nicht nur die praktische Umsetzung, sondern auch die jüngsten gesetzlichen
Änderungen des Kodex sowie aktuelle politische Debatten entfernen sich zunehmend
vom ursprünglichen Geist des Kodexes. Mit der Überarbeitung des Kodex im Jahr
2024 wurde die Möglichkeit geschaffen, Grenzkontrollen für einen Zeitraum von
bis zu drei Jahren einzuführen oder zu verlängern (Art. 25a Abs. 4 bis 6). In
Deutschland diskutiert man offen unter dem Stichwort einer “asylbedingten
Notlage” über eine standardmäßige Wiedereinführung von Grenzkontrollen.
Angesichts dieser Entwicklungen und Trends, die wir vor allem – aber nicht nur –
in Deutschland beobachten, sind wir als Junge Europäische Föderalist:innen
Deutschland besorgt darüber, wie fahrlässig mit einer der größten
Errungenschaften Europas umgegangen wird. Wir nehmen nicht hin, dass der
Stellenwert des Schengener Grenzkodexes durch politische
Entscheidungsträger:innen zunehmend verwässert und zum politischen Spielball
gemacht wird!
Anknüpfend an unsere bereits 2016 gestartete Aktion #Don’tTouchMySchengen und
unsere Beschlüsse zur Stärkung des Schengenraums aus den Jahren 2016 und 2019
stellen wir heute noch einmal mit aller Deutlichkeit fest:
Die Forderungen nach Grenzkontrollen sind populistische Symbolpolitik.
Derzeit dienen die Kontrollen an den Binnengrenzen – insbesondere in
Deutschland – eher dazu, den Anschein von Handlungsfähigkeit zu wahren.
Mit den Kontrollen oder Forderungen nach ihnen will man dem
gesellschaftlichen Druck nachgeben und politische Forderungen
kommunizieren, ohne aber inhaltliche Entscheidungen zu treffen. Solche
Forderungen dürfen nicht reflexartig und vorschnell als vermeintliche
Lösungen präsentiert werden, bloß um die öffentliche Meinung zu
beeinflussen und politische Mehrheiten zu sichern.
Die Einführung von Grenzkontrollen ist keine Kompensation für andere
politische Versäumnisse. Die Forderungen nach Grenzkontrollen verschleiern
häufig die eigentlichen Probleme und langjährige politische Versäumnisse,
wodurch die Entwicklung nachhaltiger und ganzheitlicher Lösungen
verhindert wird. Grenzkontrollen dürfen nicht eingeführt werden, um
fehlende Ausstattung, Überforderung und mangelnde Vorbereitung bei
nationalen Behörden auszugleichen. Zudem darf dem Versäumnis einer
dringend notwendigen Erarbeitung und Vereinheitlichung eines
menschenwürdigen Asylsystems sowie der fehlenden politischen Willenskraft
hierfür nicht mit der vermeintlich wirksamen Symbolik der Kontrolle von
Binnengrenzen begegnet werden.
Bekenntnis zu offenen Grenzen. Die Mitgliedstaaten müssen sich konsequent
und unmissverständlich zu der Errungenschaft der offenen Binnengrenzen
bekennen. Angesichts der Tatsache, dass es in Deutschland immer mehr
politische Stimmen gibt, die Grenzkontrollen als etwas Positives ansehen,
bedarf es einer grundlegenden Neuausrichtung des Grundverständnisses von
Grenzen und Offenheit in Europa.
Bewahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Bei jeder politischen und
verwaltungsinternen Entscheidung braucht es einen unumstößlichen
Ausgangspunkt: Grenzkontrollen müssen die Ausnahme bleiben und als solche
benannt werden.
Ausnahmegründe für Kontrollen dürfen nicht vorschnell angenommen,
überdehnt und pauschalisiert werden. Die – auch nach den kürzlichen
Änderungen des Schengener Grenzkodex fortbestehenden – vagen und weit
gefassten Formulierungen der Ausnahmegründe für die Einführung von
Grenzkontrollen lassen erhebliches Missbrauchspotential entstehen. Einmal
vorhandene sachlich gegebene Gründe für die zeitlich eng begrenzte
Einführung von Grenzkontrollen, beispielsweise die Fußball-EM in
Deutschland oder die Olympischen Spiele in Paris, werden in der
politischen Diskussion zu häufig zum Anlass genommen, um unter Berufung
auf eine vermeintlich fortbestehende Bedrohungslage eine Fortdauer der
Kontrollen nach diesen konkreten Events zu fordern. Ein bloß abstraktes
Gefährdungsrisiko rechtfertigt aber weder kurz- noch langfristige
Grenzkontrollen.
Begründung
erfolgt mündlich