Veranstaltung: | JEF Bundeskongress 2024 |
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Antragsteller*in: | Thomas Schuhmacher (LAG Programmatik JEF BW) |
Status: | Geprüft |
Antragshistorie: | Version 2 |
IA3: Für eine gemeinsame EU-Gesundheitsunion
Antragstext
Im Zuge der Coronapandemie erließ die Europäische Union (EU) zahlreiche
Maßnahmen, um die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Implikationen der
Coronakrise zu minimieren. Während es der EU gelungen ist, die unvollständige
Architektur der Eurozone weiterzuschließen, gab es im Bereich der
Gesundheitspolitik weniger Fortschritte. Die EU-Gesundheitspolitik umfasst dabei
mehrere Elemente. Für diesen Antrag liegt der Begriff der öffentlichen
Gesundheitspolitik der EU von Greer (2014) zugrunde. Dieser gliedert die
öffentliche Gesundheitspolitik der EU in drei Bereiche: 1. Die explizite
gesundheitsfokussierte Politik, worunter z.B. der öffentliche Gesundheitsschutz
zählt, 2. Market-Making und Regulationspolitik und schließlich 3. Fiskalische
Governance. Der vorliegende Antrag wird sich nur auf den ersten Aspekt des EU-
Gesundheitspolitik fokussieren.
Im Bereich der direkten Gesundheitspolitik sind die Kompetenzen der EU weiterhin
marginal ausgeprägt. Zu Beginn der Pandemie besaß die Union über Art. 2 IV
i.V.m. Art. 4 II k) AEUV und Art. 6 a) AEUV bzw. Art. 168 AEUV im Grundsatz nur
eine Unterstützungs- und Koordinationsrolle, was konkret bedeutet, dass die
Union z.B. einen Dialog zwischen den Mitgliedstaaten einleiten konnte. Eigene
Maßnahmen waren auf Aufklärungs- und Präventionskampagnen sowie Forschung
beschränkt. Neben der schwachen Rolle im Gesundheitsbereich besaß die EU
ebenfalls eine „schwache Ausstattung“ an Ressourcen im Vergleich zum
amerikanischen CDC. Hierbei ist z.B. gemeint, dass der ECDC im Vergleich zum
amerikanischen Äquivalent mit einem relativ kleinen Budget von 60 Millionen Euro
und nur einem Bruchteil der Mitgliederzahl ausgestattet war.
Die Folge: Der Ausbruch von Corona konnte in Europa nicht verhindert bzw.
eingedämmt werden. Mehr als eine Millionen Europäer: innen bezahlten dafür mit
ihrem Leben. Leider hat sich bei der institutionellen Unvollständigkeit der
direkten EU-Gesundheitspolitik seit der Coronakrise grundsätzlich nicht viel
geändert. Hierbei vertreten wir das zentrale Argument, dass wir in der gesamten
EU einheitliche Mindeststandards (Überwachung, Impfung, Testung, Nachverfolgung
etc.) brauchen, um die EU als Ganzes schützen zu können. Daher fordern wir ganz
konkret, um die europäische Gesundheitsgovernance zu verbessern:
1. Wir fordern, dass die Empfehlungen an Mitgliedstaaten bei
Gesundheitsnotfällen einen verpflichtenden Charakter bekommen. Durch die im
November 2022 verabschiedete Verordnung zu grenzüberschreitenden
Gesundheitsgefahren kann die EU Gesundheitsnotfälle erklären und nationale
Notfallpläne überprüfen. Die EU kann dann durch die ECDC unverbindliche
Empfehlungen aussprechen. Das gleiche gilt für die neuen Aufgaben der EMA. Die
Agentur ist jetzt auch für die Überwachung und Bekämpfung von Engpässen bei
medizinischen Gütern bei Notfallsituationen zuständig. Leider kann sie nur
unverbindliche Empfehlungen aussprechen. Wir fordern hierbei ebenso, dass die
EMA Empfehlungen mit einem verpflichteten Charakter erlassen kann.
2. Wir fordern, dass das Health Crisis Board im Rahmen der HERA gestrichen wird.
Die EU-Kommission muss bei diesem Thema unabhängiger von den Mitgliedstaaten
werden. Durch das Health Crisis Board kriegen die Mitgliedstaaten eine
zusätzliche Einflussmöglichkeit bei der Entscheidungsfindung.
3. Wir fordern einen schnelleren und umfangreicheren Austausch von Daten. Zwar
haben die Mitgliedstaaten durch die Verordnung zu grenzüberschreitenden
Gesundheitsgefahren und die Stärkung des Mandats des ECDC mittlerweile
Meldepflichten gegenüber dem ECDC, allerdings fehlt in der Verordnung eine
Pflicht, dass die Daten schnell übermittelt werden müssen. Diese Daten müssen
auch in einer standardisierten Form bei der ECDC ankommen, sonst dauert es zu
lange bis der ECDC angemessene Handlungsempfehlungen für die Mitgliedstaaten
erstellen kann.
4. Wir fordern, dass die EU das Gesundheitsprogramm „EU4Health“ sowie den
Europäischen Struktur- und Investitionsfond (ESI-Fonds) stärker zusammen denken
soll. Die EU sollte identifizieren, welcher Investitionsbedarf im
Gesundheitsbereich existiert und die Mitgliedsländer darauf aufmerksam machen.
Anschließend sollte die EU bei der Einreichung von Förderanträgen und bei der
Verflechtung von verschiedenen Förderinstrumenten unterstützen. Letzteres ist
notwendig, da etwa die EU4Health-Projekte wenige bis keine Querbezüge zu dem
eben-falls für die öffentliche Gesundheit und Gesundheitsversorgung relevanten
Europäischen Struktur- und Investitionsfonds aufweisen.
5. Die EU muss eine Strategie (Empfehlungen und Investitionsanreize) entwickeln,
um die unterschiedliche Qualität der Gesundheitssysteme zwischen den
Mitgliedstaaten anzugleichen, ohne dabei den primärrechtlichen Rahmen zu
sprengen. Das heißt, die ausgearbeiteten Empfehlungen haben einen
unverbindlichen Charakter. Hier gilt der Grundsatz: Die EU ist in der Bekämpfung
von Gesunheitsbedrohungen nur so stark wie ihre schwächsten Mitgliedstaaten und
Regionen.
6. Zwar ist eine primärrechtliche Vertragsänderung gerade nicht das wichtigste
Problem. Allerdings fordern wir mittelfristig, dass die EU-Gesundheitspolitik
auf eine solidere Rechtsgrundlage gestellt wird. Konkret heißt das: Die
Gesundheitspolitik muss eine geteilte Kompetenz nach Art. 4 AEUV werden.
Begründung
Die Auswirkungen der Coronapandemie bilden für die EU eine enorme
Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Coronakrise führte
in Europa zum größten wirtschaftlichen Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg.
Ebenso ist der gesundheitspolitische Aspekt hierbei nicht zu vernachlässigen.
Bislang sind über 1000000 Europäer: innen an den Folgen der Coronapandemie
gestorben. Zu Beginn der Coronapandemie schien die EU in diesem Bereich zu
straucheln. Für viele war die anfängliche Rolle der Union in der Coronakrise
nicht ersichtlich und so ist es wenig überraschend, dass die Bürger: innen nicht
von der EU, sondern von ihren nationalen Regierungen Schutz erwarteten. Daneben
war die Anfangsphase der Pandemie von unkoordinierten und unsolidarischen
Aktionen der Mitgliedstaaten geprägt, wie beispielsweise Exportstopps für
medizinische Schutzgüter oder Grenzschließungen. Eine der Folgen des
„chaotischen” Beginns der Pandemiebewältigung in Europa war u.a. das Ausbleiben
von dringend benötigter Hilfe in besonders betroffenen Ländern wie Italien im
Februar 2020. Dies wiederum schmälerte das Ansehen der EU beträchtlich und
verstärkte das Krisennarrativ der Medien. Die EU reagierte zwar mit der
Forderung einer Gesundheitsunion und beschloss sogleich sieben Initiativen, um
die Gesundheitsunion voranzutreiben. Fünf Initiativen setzte sie schon um.
Hierbei handelt es sich, um die stärkeren Mandate des Europäischen Zentrums für
die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und der Europäischen
Arzneimittel-Agentur (EMA), die neue Behörde HERA, die Verordnung über die neu
Verordnung über genzüberschreitende Gesundheitsgefahren und zu guter Letzt das
Gesundheitsprogramm „EU4Health“. Die zwei letzten Initiativen sind die
Modifikation des Arzneimittelrechts mittels einer Verordnung und einer
Richtlinie sowie die Schaffung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS).
Allerdings ist eine grundsätzliche Zeitenwende bisher ausgeblieben.
Quelle:
Greer, Scott L. (2014): „The three Faces of European Union Health Policy:
Policy, Markets and Austerity“. In: Policy and Society. 33 (1). S.13-24.
Abkürzugsverzeichnis
CDC – Zentrum für Krankeitskontrolle und Prävention
ECDC – Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten
EMA – Europäische Arzneimittel-Agentur
Unterstützer*innen
Zustimmung
Änderungsanträge
- Ä1 (Matthias Spies, Zurückgezogen)