Veranstaltung: | JEF Bundeskongress 2022 |
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Antragsteller*in: | JEF Baden-Württemberg (dort beschlossen am: 10.09.2022) |
Status: | Geprüft |
Eingereicht: | 11.09.2022, 11:09 |
IA1: Positionen zu aktuellen und weiteren möglichen EU-Beitrittskandidaten
Antragstext
Die EU führt derzeit offiziell mit fünf Staaten Beitrittsverhandlungen, nämlich
mit der Türkei (seit 2005), Montenegro (seit 2012), Serbien (seit 2014) sowie
Albanien und Nordmazedonien (beide seit 2022). Mit Bosnien-Herzegowina und dem
Kosovo genießen zwei weitere Balkanstaaten zudem den Status eines potenziellen
Beitrittskandidaten. Darüber hinaus bestehen europaweit weitere potenzielle
Bewerbungsländer, die eine EU-Mitgliedschaft anstreben könnten. Allerdings
offenbart jedes Land und jede Region eigene Herausforderungen, die es auf dem
Weg in die EU zu meistern gilt, weshalb die JEF im Folgenden auf Grundlage der
zuvor aufgestellten Grundsätze individuelle Strategien präsentiert und deren
Umsetzung fordert.
1. Westbalkan (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro,
Nordmazedonien, Serbien)
Die Länder des Westbalkan sind integraler Bestandteil des europäischen
Kontinents. Eine erneute Instabilität dieser Region wie in den 90er-Jahren hätte
spürbare Folgen für die ganze EU, weshalb die Stabilität, Sicherheit und
Prosperität dieser Region ein Kernanliegen europäischer Politik sein muss. Eine
Garantie dafür kann nur durch einen EU-Beitritt der Staaten des Westbalkan
gewährleistet werden, weshalb dies das erklärte Ziel der EU und ihrer
Mitgliedstaaten sein muss. Folglich begrüßen wir die laufenden
Beitrittsverhandlungen mit Montenegro, Serbien, Albanien und Nordmazedonien.
Sobald tiefgreifende und ambitionierte Reformen erfolgt sind, muss auch mit
Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo über einen Beitritt verhandelt werden.
Vor diesem Hintergrund unterstützt die JEF die Unabhängigkeit des Kosovo. Doch,
damit der junge Staat der EU beitreten kann, müssen ihn alle EU-Mitgliedstaaten
anerkennen. Darauf muss die EU hinwirken und zugleich eine Annäherung zwischen
Belgrad und Pristina fordern. Weiterhin muss die von der EU-Kommission
empfohlene Visaliberalisierung für kosovarische Staatsangehörige unverzüglich
umgesetzt werden. Sollte Serbien vor dem Kosovo EU-Mitglied werden, muss der
Konflikt zwischen beiden Staaten beigelegt und die Unabhängigkeit des Kosovo
durch Serbien anerkannt sein.
Grundsätzlich besteht in den Ländern des Westbalkans infolge der
Jugoslawienkriege nach wie vor ein tiefes Misstrauen bis hin zu offener
Feindschaft zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen. Der beste Weg, um alte
Feindbilder aufzubrechen, sind Begegnungen zwischen Angehörigen der verfeindeten
Gruppen, weshalb die EU mithilfe von Förderprogrammen im Bereich Kultur, Sport
und Politik Menschen aus unterschiedlichen Ländern des Westbalkan
zusammenbringen soll. Bei der Integration dieser Staaten in die EU muss zudem
ein besonderes Augenmerk auf das Bestehen eines effektiven staatlichen Schutzes
vor Diskriminierung auch durch nichtstaatliche Akteure bestehen. Zudem müssen
Rechtsstaatlichkeit sowie Meinungs- und Pressefreiheit im Einklang mit den
Kopenhagener Kriterien gewährleistet sein.
Trotz der gegenwärtigen Besetzung von Teilen der Staatsgebiete durch Russland
fordern die JEF eine Beitrittsperspektive für die Ukraine, Moldau und Georgien,
nachdem die Ukraine und Moldau bereits Kandidatenstatus erlangt haben. Wie bei
den Staaten des Westbalkans, bedarf es auch hier umfassender Reformen, um die
Kopenhagener Kriterien zu erfüllen. Hier muss die EU in entsprechender Weise
unterstützend tätig werden. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der EU ist,
dass substanzielle Fortschritte im Bereich Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit
und Korruptionsbekämpfung erzielt werden.
Die JEF stellt mit Bedauern fest, dass sich die Türkei in den vergangenen Jahren
zunehmend von Europa und seinen Werten entfernt hat. Gleichwohl wollen wir die
Beitrittsgespräche mit der Türkei nicht abbrechen, sondern vorerst weiterhin
eingefroren lassen. Denn ein Abbruch hätte eine weitere Verschlechterung der
Beziehungen zur Folge, insbesondere auch zur türkischen Zivilgesellschaft.
Allerdings vertritt die JEF die Ansicht, dass für ein Auftauen der eingefrorenen
Verhandlungen eine substanzielle Verbesserung der demokratischen
Funktionsfähigkeit sowie der Menschenrechtslage in der Türkei vorangegangen sein
muss. Sollte die Türkei die Beitrittsvoraussetzungen vollumfänglich erfüllen,
d.h. auch die Besetzung Nordzyperns beenden, die militärischen Drohungen gegen
Griechenland im Zusammenhang mit diversen Grenzstreitigkeiten einstellen und den
Völkermord an den Armeniern und anderen (christlichen) Minderheiten anerkennen,
muss ihr der Weg in die EU offenstehen.
Matthias Spies:
Armenien ist ein demokratischer Staat, der aber noch weit von der Erfüllung der
Kopenhagener Kriterien entfernt ist. Darüber hinaus ist das Land Mitglied der
Eurasischen Wirtschaftsunion, womit ein EU-Beitritt derzeit nicht in Frage
kommt, weshalb aktuell nur eine engere Zusammenarbeit im Rahmen der Östlichen
Partnerschaft möglich ist. Sollte sich Armenien jedoch dazu entschließen, einen
EU-Beitritt anzustreben, muss ihnen eine Beitrittsperspektive eröffnet werden.
Neben der Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen bedarf es einer friedlichen
Lösung des Konflikts mit Aserbaidschan. Vorab kann ein Beitritt zum EWR und zur
Zollunion angeboten werden.
Mit Aserbaidschan arbeitet die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft
zusammen, wo gemeinsame Interessen bestehen. Die Zivilgesellschaft muss gestärkt
werden, um eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung des Landes zu
befördern. Sofern sich die politische Lage in Aserbaidschan grundlegend ändert,
sollte dem Land eine Beitrittsperspektive eröffnet werden. Allerdings sehen wir
für Aserbaidschan derzeit keine Beitrittsperspektive.
5. Überseegebiete (Färöer, Grönland, französische und niederländische
Überseegebiete)
Darüber hinaus existieren weltweit noch weitere Gebiete, die zwar bereits unter
der Verwaltung eines EU-Mitgliedstaates stehen, aber selbst nicht Teil der EU
sind. Die EU bezeichnet diese unter dem speziellen Status der „Überseeischen
Länder und Hoheitsgebiete“, wobei EU-Regelung in diesen Gebieten teilweise
Anwendung findet, auch wenn die Gebiete zumeist Autonomie genießen. Dadurch
liegt die Entscheidung über ein EU-Beitrittsgesuch oft bei der Regierung der
Gebiete selbst und nicht bei der Regierung des jeweiligen Mutterlandes. Einem
möglichen Wunsch der Überseegebiete, Teil der EU zu werden, stehen wir offen
gegenüber.
Die Färöer und Grönland sind zwar beide gleichberechtigte Nationen innerhalb
Dänemarks, jedoch keine EU-Mitglieder und wenden auch keinerlei Europarecht an.
Beide Nationen äußerten sich in der Vergangenheit zurückhaltend, aber nicht
grundsätzlich ablehnend zu einer möglichen EU-Mitgliedschaft, obwohl Grönland
1985 bereits einmal aus der EG ausgetreten ist. Sollten sowohl die Färöer als
auch Grönland die Bereitschaft zu einer Vollmitgliedschaft äußern, muss ihnen
der Weg in die Union offenstehen. Dies sollte auch nach einer potenziellen
Unabhängigkeit einer der beiden Nationen gelten, denn beide sind historisch,
kulturell und geografisch eng mit Europa verbunden.
Begründung
Erfolgt ggf. mündlich