Veranstaltung: | JEF Bundeskongress 2022 |
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Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesausschuss |
Beschlossen am: | 03.12.2022 |
Basierend auf: | IA2: Größe gewinnen – Die Schaffung eines neuen Verständnisses der EU-Erweiterungspolitik |
Größe gewinnen – Die Schaffung eines neuen Verständnisses der EU-Erweiterungspolitik
Beschlusstext
Die EU ist mit ihrem Binnenmarkt der größte Wirtschaftsraum der Welt und eine
Wertegemeinschaft, deren Mitgliedsstaaten sich zu Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Menschenrechten bekennen und einen immer
größer werdenden Teil ihrer Politik gemeinschaftlich gestalten.
Der Integrationsprozess europäischer Staaten in die EU ist noch nicht
abgeschlossen, weshalb mithilfe der EU-Erweiterungspolitik eine Vereinigung der
europäischen Länder in ein gemeinsames politisches und wirtschaftliches Projekt
gelingen soll. Die Erweiterungen der Union gründet sich dabei auf ihren Werten
und unterliegen strengen Auflagen. Dadurch hat sich die EU-Erweiterungspolitik
zu einem starken außenpolitischen Instrument der EU entwickelt, das die
Transformation zahlreicher europäischer Staaten entscheidend mitgestaltet hat.
Denn die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft hat sich als wichtiger Anreiz für
Reformprozesse in den Kandidatenländern erwiesen, wodurch es gelingen konnte,
die politische und wirtschaftliche Stabilität Europas zu stärken sowie Freiheit,
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte zu fördern.
Die Vergrößerung des Binnenmarktes hat zudem zu einer Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstandes der EU beigetragen. Außerdem gewinnt
die EU durch ihre Vergrößerung gleichzeitig ebenfalls weltweit an Gewicht und
ist dadurch in der Lage, auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel,
Umweltschutz, Wettbewerbsfähigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse und Regulierung
der Finanzmärkte besser zu reagieren.
Für die JEF stellt deshalb die Mitgliedschaft eines weiteren Staates in der EU
immer eine Chance dar, weshalb mit einer überlegten und zugleich ambitionierten
Erweiterungspolitik Europa nicht nur größer, sondern vor allem verbessert werden
kann. Dafür ist allerdings die Bestimmung klarer, nicht verhandelbarer
Beitrittsvoraussetzungen von Nöten sowie die Setzung von neuen Schwerpunkten im
Beitrittsprozess, um die Europäische Einheit vollenden zu können.
Jeder Staat, welcher der EU beitreten will, muss die Kopenhagener Kriterien
vollständig erfüllen. Kern der Kopenhagener Kriterien sind die Werte der EU, die
sich auch in Artikel 2 des EU-Vertrags wiederfinden. Dadurch müssen Staaten, die
der EU beitreten, nicht nur Demokratien, sondern wehrhafte Demokratien sein,
deren Verfassung die Werte der EU schützt. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist
die Aufnahmefähigkeit der EU für neue Mitgliedstaaten. Für die Westbalkanstaaten
hat die EU das Bestehen guter nachbarschaftlicher Beziehungen als zusätzliches
Beitrittskriterium benannt.
Dennoch bedarf es einer zielgerichteten Reform der Kopenhagener Kriterien. Bei
der Anwendung dieser überarbeiteten Kopenhagener Kriterien darf es keine
Kompromisse mehr geben, denn wenn einem neuen Mitgliedsstaat schon beim Beitritt
das Gefühl gegeben wird, unsere Werte seien verhandelbar, verliert die EU ihre
Glaubwürdigkeit. Grundsätzlich darf es bei einem EU-Beitritt keine Rabatte,
Vergünstigungen oder Opt-Outs geben.
Bei der Beurteilung des Aufnahmefähigkeitskriteriums darf es nicht nur auf
wirtschaftliche Belange ankommen. Auch die Erhaltung einer funktionsfähigen
Demokratie muss dabei Berücksichtigung finden. Wir sind der Meinung, das
Kriterium der guten nachbarschaftlichen Beziehungen sollte für alle
Beitrittskandidaten gelten. Für das Vorantreiben der europäischen Integration
ist es nicht zielführend, neue Konflikte oder neues Konfliktpotential in die EU
einzubringen. Unter vorgenanntem Kriterium verstehen wir nicht die vollständige
Abwesenheit von Konflikt, sondern den unbedingten Verzicht auf Gewalt oder
Drohung mit Gewalt sowie ein insgesamt respektvolles Miteinander. In Fällen, wo
die Gewalt einseitig verschuldet ist, kann dieses Kriterium allerdings keine
Anwendung finden.
Die EU muss jedoch nicht nur die Einhaltung ihrer Werte bei neuen
Mitgliedstaaten sicherstellen. Europäische Werte sind für alle Mitgliedstaaten
verbindlich und müssen effektiv durchgesetzt werden können. Neben der
konsequenten Durchsetzung der EU-Grundrechtecharta bei der Durchführung von
Unionsrecht ist es daher essentiell, die Einhaltung der Grundrechte in den
Mitgliedstaaten zu überwachen und die Nichteinhaltung entsprechend zu
sanktionieren. Entsprechende Verfahren über Strafzahlungen oder partikularen
Stimmrechtsentzug müssen vom Rat der EU an den Europäischen Gerichtshof
übergehen. Diese Kompetenzverschiebung ist nötig, um Blockadehaltungen einzelner
Mitgliedstaaten im Rat zu verhindern und Grundrechte innerhalb der EU unabhängig
aktueller nationaler Regierungen zu sichern.
Der derzeitige Beitrittsprozess ist aus unserer Sicht unzureichend. Neben der
Förderung von Bildung, Justiz, Infrastruktur und zur Angleichung an den
Binnenmarkt, muss die Unterstützung der Zivilgesellschaft mindestens genauso
wichtig sein. Neben EU-eigenen Programmen und der Förderung lokaler
Organisationen, müssen hierbei auch politische Stiftungen sowie politische und
nichtpolitische Jugendorganisationen miteinbezogen werden. Ferner wollen wir
allen Beitrittskandidaten und Staaten mit Beitrittsperspektive sowie den Staaten
der Europäischen Nachbarschaftspolitik anbieten, gegen angemessene finanzielle
Beteiligung, Teil des Programms Erasmus+ zu werden, anstatt nur Partnerland zu
sein.
Manche Staaten mit europäischer Perspektive werden aufgrund außenpolitischer
Faktoren, die sie selbst nicht oder nur geringfügig beeinflussen können,
wahrscheinlich länger auf einen Beitritt warten müssen. Deshalb müssen vor einem
EU-Beitritt zusätzliche optionale Zwischenschritte bestehen, die über eine Deep
and Comprehensive Free Trade Area (DCFTA) hinausgehen. Dazu gehört eine
Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion sowie im Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR). Letzterer steht gegenwärtig nur den Mitgliedern der
Europäischen Freihandelszone (EFTA) offen, was wir ändern möchten. Für Staaten,
die nicht EFTA-, aber EWR-Mitglied sind, wären dann EuGH und EU-Kommission
zuständig. Eine Reform bedarf es ebenfalls bei der Zollunion, damit EU- und
Nicht-EU-Mitglieder von zukünftigen Freihandelsabkommen der EU gleichermaßen
profitieren. Hierbei dürfen die Zollunion bzw. der EWR keine dauerhaften
Alternativen zu einem EU-Beitritt sein, wobei die Anforderungen an Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte für einen EWR-Beitritt
zwar niedriger als für einen EU-Beitritt sein sollten, jedoch immer noch höher
als für einen Beitritt zur Zollunion.
Für den Beschluss zur Aufnahme und Abbruch von Beitrittsverhandlungen sowie dem
Beitritt zum EWR müsste statt des Einstimmigkeitsprinzips die verstärkte
qualifizierte Mehrheit erforderlich sein. Für den Beitritt zur EU sollte weiter
das Einstimmigkeitsprinzip gelten, um über die Verhandlungen schwere Konflikte
auf jeden Fall zu lösen.
Begründung
Erfolgt ggf. mündlich